Gilt die Weiterbildung als Arbeitszeit oder Freizeit?

Berufliche Fortbildungen werden immer wichtiger, um auf dem aktuellen Stand zu bleiben und die Anforderungen der modernen Arbeitswelt zu erfüllen. Trotzdem finden Fortbildungsmaßnahmen häufig abends oder am Wochenende, also außerhalb der regulären Arbeitszeiten, statt. Daher stellen sich viele Arbeitnehmer die Frage, ob diese Zeiten als Arbeitszeit gelten oder es sich um eine Freizeitbeschäftigung handelt. Klarheit darüber brachte erst ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2021. Nach diesem und laut geltendem Arbeitsrecht müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, damit die Fortbildung als Arbeitszeit gilt.

 

Gelten Fortbildungen, die außerhalb der regulären Arbeitszeit stattfinden, als Arbeitszeit?

Bis vor kurzem wurde die in Fortbildungen investierte Zeit in vielen Branchen nicht als Arbeitszeit anerkannt. Trotz der Tatsache, dass der Arbeitgeber die Fortbildungsmaßnahmen außerhalb der normalen Arbeitszeit anordnete und die Teilnahme Pflicht war, wurde die dort von den Arbeitnehmern verbrachte Zeit – in den Abendstunden oder am Wochenende – als Freizeit gewertet. Entsprechend wurden für diese Zeiten kein Lohn und auch keine Überstunden- oder Wochenendzuschläge gezahlt.

Dieser Umgang mit Arbeitszeit und Fortbildungsmaßnahmen rief immer wieder den Unmut von Angestellten verschiedener Branchen hervor, wurde aber lange Zeit toleriert. Dabei brachte die Verlagerung von Fortbildungszeiten auf die Ruhezeiten der Angestellten den Unternehmen viele Vorteile. Schließlich standen die Beschäftigten während ihren regulären Arbeitszeiten so weiterhin vollumfänglich zur Verfügung. Die Personaldecke wurde in keinerlei Weise durch die berufliche Weiterbildung eingeschränkt.

Einschneidende Auswirkungen in der Arbeitswelt hatte daher das vielbeachtete EuGH-Urteil im Oktober 2021 (Az: C-909/19). Darin erklärt der Europäische Gerichtshof die Bewertung von Fortbildungsmaßnahmen als unbezahlte Freizeit für unzulässig. Das Argument: Ob Zeiten als Arbeitszeit eingestuft werden, hängt nicht davon ab, ob der Arbeitnehmer seine Tätigkeit am üblichen Arbeitsort – Schreibtisch im Büro, etc. – erfüllt. Stattdessen wird jeder Ort zum Arbeitsort, an dem der Arbeitnehmer auf Weisung des Arbeitgebers bestimmten Tätigkeiten nachgeht.

Demnach können auch Zeiten, die der Arbeitnehmer außerhalb seines eigentlichen Arbeitsplatzes verbringt, als Arbeitszeit eingeordnet werden. Ausschlaggebend ist nur, ob es eine Weisung seitens des Arbeitgebers gegeben hat oder nicht. Eine Fortbildung, die der beruflichen Qualifizierung dient und vom Arbeitgeber beauftragt wurde, ist demnach selbstverständlich als Arbeitszeit einzustufen.

 

Habe ich während einer Fortbildung Anspruch auf Überstundenvergütung oder Freizeitausgleich?

Für die Frage, ob Arbeitnehmer einen Anspruch auf Überstundenvergütung oder Zeitausgleich haben, ist entscheidend, ob die jeweilige Fortbildung als Arbeitszeit eingeordnet wird oder nicht. Findet die Fortbildung in der Arbeitszeit statt, besteht Anspruch auf das volle Gehalt und gegebenenfalls Überstundenvergütungen und Zeitausgleich. Denn: Laut der EU-Richtlinie 2003/88/EG Artikel 2 Nr. 1 ist Arbeitszeit „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt“.

Eine Fort- oder Weiterbildung zählt als Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer von seinem Vorgesetzten den Auftrag bekommen hat, an dieser zu teilzunehmen. Bildet sich der Mitarbeiter dagegen auf eigenen Wunsch hin weiter und nimmt an entsprechenden Kursen teil, tut er dies in seiner Freizeit und erhält keine Vergütung.

Nicht zu verwechseln ist die Fortbildung daher mit einer Weiterbildung. Beide Begriffe werden häufig als Synonyme verwendet, bezeichnen aber Verschiedenes. Das Unterscheidungskriterium ist der Zweck der jeweiligen Bildungsmaßnahme. So erfolgt die Weiterbildung auf Eigeninitiative des Arbeitnehmers und hat daher nicht zwangsläufig mit der derzeit ausgeübten Berufstätigkeit zu tun. Eine Weiterbildung kann beispielsweise ein allgemeinbildender Kurs sein oder dem Erwerb eines höheren Bildungsabschlusses beziehungsweise dem Erlernen eines neuen Berufs dienen. Die Fortbildung wiederum steht in direktem Zusammenhang mit den Inhalten des ausgeübten Berufs und der konkreten Jobsituation.

Aus dem EuGH-Urteil zu Pflicht-Fortbildungen ergibt sich, dass Fortbildungen, die außerhalb der regulären Arbeitszeit stattfinden, in der Arbeitszeiterfassung als geleistete Arbeitszeit aufzunehmen sind. Fallen dabei Überstunden an, hat der Beschäftigte selbstverständlich einen Anspruch auf eine entsprechende Vergütung oder einen Ausgleich in Form von Freizeit. In Arbeits- oder Tarifverträgen finden sich hierzu oft Vereinbarungen, die an Werktagen einen Zuschlag von 25 Prozent und an Sonn- und Feiertagen einen Zuschlag von 50 Prozent vorsehen.

Für eine vorgeschriebene Fortbildung besteht also Anspruch auf das volle Gehalt – auch wenn der Mitarbeiter in dieser Zeit nicht die im Arbeitsvertrag vorgesehenen Aufgaben erledigt. Entscheidend ist auch hier das Weisungsrecht des Arbeitgebers, mit welchem er festlegen kann, wo seine Mitarbeiter arbeiten.

Auch wenn der Besuch von Fortbildungen im Arbeits- oder Dienstvertrag festgelegt ist, gilt die Weiterbildungsmaßnahme als Arbeitszeit.

Gut zu wissen
Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter zu einer beruflichen Fortbildung schicken, müssen auch die Fahrtkosten zum Schulungsort bezahlen.

Wichtig: Für die Teilnahme an verpflichtenden Fortbildungen gelten die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes. Dazu zählen beispielsweise die Regelungen zur Höchstarbeitszeit pro Tag oder zur Einhaltung von Ruhepausen. Im Zweifelsfall ist es daher empfehlenswert, vor Beginn der Maßnahme zu klären, welche Arbeitszeit an den betreffenden Tagen angerechnet werden soll.

 

Und was gilt bei freiwilligen Fortbildungen?

Was die oben beschriebenen Regelungen zu Pflicht-Fortbildungen betrifft, sollten Arbeitnehmer ihre Rechte kennen und Arbeitgeber Vorsicht walten lassen. Verstößt ein Unternehmen gegen die geltenden Arbeitszeit-Bestimmungen, muss es mit Geldstrafen rechnen. Zudem kann der Arbeitnehmer unter Umständen Regressansprüche geltend machen.

Fortbildungszeiten, die freiwillig absolviert werden und daher außerhalb der regulären Arbeitszeit entstehen, gelten also nicht als Arbeitszeit. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber einen Antrag auf Weiterbildung seitens des Mitarbeiters genehmigt und die Kosten für die Fortbildung bezuschusst oder komplett bezahlt. In diesem Fall erhalten Arbeitnehmer keine Lohnfortzahlung oder Überstundenvergütungen für die Zeiten, die sie in einem Kurs zum Zwecke der Fortbildung außerhalb der planmäßigen Arbeitszeit verbringen.

Üblich ist bei freiwillig besuchten Fortbildungen jedoch, dass der Arbeitgeber die betreffenden Mitarbeiter an diesen Tagen von ihren beruflichen Verpflichtungen freistellt. Ein Anspruch auf Bezahlung oder Freizeitausgleich könnte aber individuell vereinbart werden.